Wertvolle Zeit

  • Wertvolle Zeit

  • Autorin Susanne Graap

Von Susanne Graap

Morgen beginnen sie, die Ferien. Ich freue mich schon jetzt auf die Stille, die sich sechseinhalb Wochen über die Stadt legt, das Telefon, das an manchen Tagen überhaupt nicht klingelt und den plötzlich überschaubaren elektronischen Briefkasten.

Die „schönsten Wochen des Jahres“ lockt das Reisebüro auf dem Plakat im Schaufenster. Ob es die wertvollsten werden, kann uns jedoch keiner versprechen. Ich kenne Leute, die selbst ihren Urlaub so verplanen wie den Alltag. Bloß nichts verpassen. Was in ihrem Urlaub im Preis inbegriffen ist, nehmen sie mit: jede Sportmöglichkeit, schon morgens nach dem Frühstücksbüffet, mit dem Leihwagen lassen sie keine Touristenattraktion aus. Papa stolpert mit aufgeschlagenem Reiseführer durch die Historie, die Kinder im Schlepptau. Derweil beginnt Mama mit dem Marathon, Bilder in ihren Satus zu stellen, den sie für alle möglichen Leute freischaltet, nur damit der Neidfaktor den Lichtschutzfaktor übertrifft…

Wer so durch die Ferien hetzt, verpasst eine Chance, die sich eben nur in diesen Wochen bietet, versäumt die Möglichkeit, aufzuholen, was sonst gefährlich vernachlässigt wird – zu erzählen, zuzuhören was die Kinder zu erzählen haben, Zeit zu haben, die Welt um sich herum beobachten zu können oder sich einfach mal so, völlig zweckfrei auf eine Parkbank zu setzen.

In meinem Bekanntenkreis gibt es das Ehepaar, dessen Kinder schon lange aus dem Haus sind. Trotzdem wird hier gemeinsam an der Familientradition festgehalten, im Urlaub sich Zeit für alle unmöglichen Dinge füreinander zu nehmen. Der Mann, ein Schichtarbeiter, sagt warum: „Während meine Frau im Supermarkt an der Kasse sitzt muss ich schlafen. Die Kinder sehe ich höchstens einmal im Monat am Sonntag.“ Also nehmen sie sich den Urlaub – als intensives Familientreffen. „Es gibt nichts Schöneres als irgendwo in der Bretagne in einem kleinen Lokal zu sitzen und in den Sonnenuntergang hineinzuplaudern. Da ist niemand, der mit dem Essen drängt, weil im Fernsehen gleich die Nachrichten kommen. Da ist keiner der auf die Uhr schaut, weil er noch zum Dienst muss. Da quatschen die Eltern stundenlang mit ihren erwachsenen Kindern – die ersten Tage meist über Belangloses, später auch über die wichtigen Dinge. Am Urlaubsende weiß die Familie, dass sich alle wieder ein Stück nähergekommen sind.

Es müssen ja nicht immer die großen Probleme sein, es geht auch leichter – und es geht gut: Eine Freundin wurde in Tunesien von der 17-jährigen Tochter endlich darüber aufgeklärt, was an Techno-Musik so faszinierend ist. Und ausprobiert hat sie es auch gleich: vier Nächte lang. Seite an Seite mit ihrer Tochter in der Hoteldisco.

Wo auch immer Sie in diesem Jahr ihren Urlaub verbringen: Lassen Sie diese Tage nicht vom Freizeitstress bestimmen. Retten sie mehr hinüber als nur Unmengen von Fotos auf ihren Handys und nahtlose Bräune. Finden Sie sich wieder, und versuchen Sie, ihre Familie nicht zu verlieren.

Nur dann werden aus den schönsten Wochen auch die wertvollsten. In der Bibel heißt es an einer Stelle so treffend, „Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine stunde.“ (Buch des Predigers, 3,1)

Susanne Graap ist Pfarrerin der Evagelischen Domgemeinde in Brandenburg an der Havel und stellvertretende Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Mittelmak-Brandenburg. Der Artikel erschien am 6. Juli in der MAZ | Blickpunkt Kirche

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